SUBUD-Bruderschaft - eine Stellungnahme (Bussinger, 2003)

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von Bettina Bussinger, Religionswissenschaftlerin, Schaffhausen


Einleitung

Die folgende Stellungnahme basiert einerseits auf schriftlichen Quellen, wobei Material der Gruppe selbst als auch Material aussenstehender Autoren berücksichtigt wurde (1), und andererseits auf Gesprächen mit zwei Mitgliedern lokaler Subud-Gruppen, die ihren Standpunkt darlegen. Mit der Auswahl der Quellen erhebt der Artikel keinen Anspruch auf Repräsentativität. Es sei vorausgeschickt, dass die Meinung der Gesprächspartnerinnen oft von den Äusserungen des Gruppengründers abwich. Dies erschwerte es, zu einem einheitlichen Bild der Gemeinschaft zu gelangen. Von der Lehrmeinung abweichende Ansichten werden im Text hervorgehoben. Der Einfachheit halber wird die männliche Form verwendet. Das weibliche Geschlecht ist jeweils mitgemeint.

1 Einführende Charakterisierung

Subud ist eine synkretistische neue religiöse Bewegung, die ihren Ursprung um 1930 in Indonesien, damals holländische Kolonie, hat. Die sogenannte Bruderschaft versteht sich nicht als neue Religion, sondern als eine Gruppe von Menschen, die sich ganz der Kraft und dem Willen Gottes - mit welchem Namen man ihn auch immer bezeichnet - hingeben und sich von ihm leiten lassen wollen. Subud will den Menschen Zugang zu eigenständiger Gotteserfahrung vermitteln und hat den Anspruch, mit den herkömmlichen Religionen vereinbar zu sein. Dementsprechend wird von den Mitgliedern auch nicht verlangt, dass sie ihre vorhandene Religionszugehörigkeit aufgeben. Gemäss Eigenangaben führe die Mitgliedschaft in Subud im Normalfall sogar dazu, dass sich das Verständnis für die eigene religiöse Tradition vergrössert und sich die Beziehung dazu vertieft. Im Gegensatz zu anderen spirituellen Bewegungen beinhalte Subud kein Lehrsystem, nichts Intellektuelles, sondern sei die direkte, persönliche Erfahrung einer höheren Kraft im Leben jedes Menschen. Alle notwendigen Lehren seien der Menschheit bereits in den grossen Weltreligionen gegeben worden. Der Name Subud leitet sich aus den Anfangssilben der drei Sanskrit-Begriffe Susila, Budhi und Dharma ab. Susila beschreibt die wahre Natur des Menschen, wie er sie nach dem Willen Gottes besitzen und leben sollte. Budhi meint die höhere, göttliche Kraft im Inneren des Menschen, die ihm Führung geben kann. Dharma bezeichnet die vollkommene Unterwerfung des Menschen unter die Grösse und den Willen Gottes. Der Name lässt damit erkennen, welches Ziel die Subud-Bewegung anstrebt: Der Mensch soll sich durch totale Hingabe an Gott, der sich in ihm selbst manifestiert, zu dem menschlichen Zustand hinentwickeln, der von Gott für ihn beabsichtigt wurde. Subud vertritt somit ein esoterisch-gnostisches Weltbild. Ermöglicht wird dieser spirituelle Weg zu Gott und zur Erschliessung des eigenen Wesenskerns durch das regelmässige Praktizieren eines vom Gründer entwickelten Übungsprozesses. Dieser Prozess wird mit dem indonesischen Begriff Latihan Kejiwaan bezeichnet. Die Übung bzw. die Erfahrungen damit sowie die illustrierenden Erklärungen dazu bilden den eigentlichen Kern Subuds, um den sich alles dreht. Ausführungen zum Latihan folgen im fünften Abschnitt des Textes.

2 Kurzer historischer Abriss

Gründer der Gemeinschaft ist der 1901 in Zentraljava geborene Indonesier Muhammad Subuh Sumohadiwidjojo, der von den Subudmitgliedern auch Bapak genannt wird. Im Indonesischen heisst dies "Vater". Die Verwendung dieser Anrede sei aber kein Zeichen übermässiger Verehrung - jeder werde in Indonesien Bapak genannt -, sondern eine Geste des Respekts. 1924 wurde Muhammad Subuh unerwartet und spontan erleuchtet. Seine dabei verspürten inneren Erlebnisse deutete er als Wirken der Kraft Gottes, die er auch als Vibrationen des Lebens oder Grosses Leben bezeichnet. 1933 empfing er die Botschaft, dass dieser direkte innere Kontakt nicht allein für ihn bestimmt sei, und begann, diese Gabe an Personen, die danach verlangten, weiterzugeben, und begründete damit die Subud-Bewegung. Dieser Vorgang der Weitergabe des Kontaktes wird in Subud Öffnung genannt. Zunächst wurden nur Freunde durch ihn ins Latihan initiiert. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges zählte die Gruppe in Java bereits einige Hundert Anhänger. Erst zu diesem Zeitpunkt beschloss man, dass die Gruppe einen Namen erhalten sollte, und empfing von der göttlichen Kraft die Bezeichnung Subud als Name für die fortan bestehende "geistige Bruderschaft". Mitte der Fünfzigerjahre stiess als erster Europäer Husein Rofé zu Subud. Der britisch-belgisch-stämmige Journalist und Linguist machte die indonesische Bewegung u.a. durch schriftliche Veröffentlichungen im Westen bekannt. Auf besonderes Interesse stiess er damit in England bei ehemaligen Anhängern des umstrittenen "spirituellen Meisters" und Theosophen Gregor Iwanowitsch Gurdjieff (1865-1949), der kurz zuvor gestorben war. Diese Gruppe, die aufgrund einer Prophezeihung Gurdjieffs auf einen "neuen Meister aus Niederländisch Ostindien" wartete, lud Muhammad Subuh und Rofé nach England ein. Viele der Gurdjieff-Anhänger erkannten in Bapak ihren neuen Meister und liessen sich in die Technik des Latihan initiieren. In England traf Rofé auch auf den führenden Gurdjieff-Nachfolger und englischen Psychologen John G. Bennett, der in der Folge durch Publikationen massgebend an der Verbreitung Subuds in der westlichen Welt beteiligt war. An die besagte Reise Muhammad Subuhs nach England schlossen sich viele weitere Reisen in verschiedenste europäische und später auch amerikanische Länder an. Wo immer er sich aufhielt, führte er gemeinsam mit den Mitgliedern Latihan durch und hielt Reden zur Erklärung dessen, was während der geistigen Übung vor sich geht. Die meisten dieser Reden wurden aufgenommen, übersetzt und als Bücher herausgegeben. Nach und nach entstanden zahlreiche Subud-Zentren. Bis heute hat sich die Bewegung in etwa 80 Ländern verbreitet. Ihr sind gemäss Eigenangaben weltweit rund 12'000 Anhänger angeschlossen. Ausserhalb Java finden sich in England und den USA die grössten Gruppen. Der Gründer starb 1987 im Alter von 86 Jahren. Einen Nachfolger gibt es nicht.

3 Weltanschaulich-religiöse Einordnung

Von grosser Wichtigkeit für die religiöse und weltanschauliche Einordnung des Phänomens Subud ist die Herkunft, das kulturelle Umfeld und die Biographie des Gründers. Muhammad Subuh wurde auf der indonesischen Insel Java geboren, in einem Kontext also, der bedingt durch seine bewegte Geschichte und die geographischen Gegebenheiten kulturell und religiös von starker Heterogenität geprägt ist. Je nach Angabe gehören 75% bis 90% der Indonesier offiziell dem Islam an. Jedoch bietet dieser kein einheitliches Bild. Er ist je nach Region unterschiedlich stark von den unzähligen altvölkischen Stammesreligionen, vom zuvor dominanten Hinduismus, von der altjavanischen Mystik oder anderen religiösen Entwürfen und lokalen Traditionen beeinflusst. 
Auch Muhammad Subuh war Moslem und blieb es zeitlebens. Allerdings zeigt sein religiöses Weltbild, wie es sich in seinen Reden über Subud präsentiert, auch viele nicht genuin islamische Züge. Neben einem stark monotheistischen Moment sind auch pantheistische und gnostische Elemente erkennbar. Sehr zentral ist die Betonung der Mystik. Wie sehr Muhammad Subuhs frühe spirituelle Erfahrungen mit dem kulturellen Umfeld, in dem er aufwuchs, verbunden waren, sieht man an seiner Biographie bzw. deren Darstellung durch ihn, die relativ getreu den Mustern der javanesischen mystischen Tradition folgt. Subuh erzählt verschiedene auffällige Begebenheiten, die auf seinen anscheinend göttlichen Auftrag hinweisen sollen: Zum Zeitpunkt seiner Geburt etwa habe es eine Vulkaneruption gegeben. Als er zum ersten Mal mit der göttlichen Kraft in Kontakt geriet, geschah dies mittels einer Lichtkugel, die sich von oben auf ihn herabsenkte und in seinen Körper eintrat. Als er etwa acht Jahre später erfuhr, dass er den Kontakt an andere Menschen weitergeben solle, erlebte er gar einen Aufstieg zu den sieben Himmeln (2). Zudem postulierte er, sowohl von weltlichen Herrschern als auch von religiösen Autoritäten abzustammen. Die javanesische, allerdings recht legendäre Tradition führt die Islamisierung Javas auf die Lehrtätigkeit von neun "Wali's" (3) zurück. Einer dieser "Wali's", der seinerseits letztendlich vom islamischen Religionsbegründer Mohammed abstamme, sei sein Vorfahre. All diese mythischen Biographieelemente sind vor dem Hintergrund einer alten Tradition zu sehen, in der sich weltliche sowie spirituelle Führer auf diese spezielle Weise legitimieren, in der Prophezeiungen alltäglich und Offenbarungen möglich sind, und sich Prädestination auf diese Art auszudrücken pflegt.
Muhammad Subuhs Mutter war spirituell sehr interessiert und hatte sich schon als junges Mädchen in Askese geübt. Er selbst machte sich schon früh auf die Suche nach einem spirituellen Lehrer. Eine wichtige Station auf diesem Weg war seine Beziehung zum Naqschabandi Sufi-Orden, wo er durch den Lehrer Abdurachman in direkten Kontakt mit Sufi-Terminologien und Sufi-Praktiken gelangte. Diese Erfahrung war für die Entwicklung seiner religiösen Anschauung prägend, wenn er selbst auch den Einfluss dieses Kontaktes für sein religiöses Weltbild gern relativiert. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Muhammad Subuh im Gegensatz zu den mystischen Traditionen, die ein zweiteiliges Modell von asketischem Rückzug aus der Welt mit anschliessendem erneutem Zuwenden propagieren, die Gleichzeitigkeit von tiefer Gottesfurcht und Engagement in der Welt stark betonte. In seinem Menschenbild, auf das später separat eingegangen wird, spiegeln sich zudem gewisse neuhinduistische Einflüsse. Anklänge an ein gnostisches Konzept lassen sich in der Vorstellung verorten, dass der Mensch einen geistigen Wesenskern besitzt, der an der göttlichen Lebenskraft partizipiert, und dass er irgendwann auf die Stufe des vollkommenen, göttlichen Menschen zurück kehren wird.

4 Die Organisation

Subud hat keinen Anführer im eigentlichen Sinne hat - als einziger Führer wird Gott genannt. Der Kopf der internationalen Subud Organisation, ein Posten, mit dem gemäss Selbstaussage weder grosse Macht noch Einfluss verbunden sind, sowie die ganze Dachorganisation werden alle vier Jahre ausgewechselt. Die Struktur der Organisation zeichnet sich durch demokratisch aufgebaute Gremien aus.
Subud ist eine internationale Vereinigung mit Hauptsitz in Jakarta, Indonesien. Nach eigenen Angaben gibt es insgesamt etwa 385 Subudgruppen (4), verteilt auf rund 80 Länder. In ungefähr 50 Ländern gibt es eine eingetragene nationale Organisation, die sich in ihrer Struktur und Rechtsform jeweils den Gegebenheiten des Landes anpasst. Die Satzung der World Subud Association (WSA), der alle nationalen Organisationen angehören, legt fest, dass sich Subud weltweit weder politisch noch religiös engagiert. Aufgabe der lokalen Gruppen ist das Bereitstellen geeigneter Räume zur Durchführung des gemeinsamen Latihans. Die nationalen Organisationen halten jährlich Nationalkongresse ab, die der Kommunikation unter den Mitgliedern und der Regelung organisatorischer Angelegenheiten wie etwa die korrekte Handhabung der Finanzen dienen. Publizisten sorgen für die Veröffentlichung von Mitteilungen und Muhammad Subuhs Schriften. In der Schweiz wird das Komitee an der jährlichen Generalversammlung durch die anwesenden Aktivmitglieder gewählt. Das aus dem Präsidenten und dem Kassier bestehende Komitee bildet die rechtliche Vertretung der Mitglieder und sorgt für die Aktivitäten, die Finanzen und die Verständigung zwischen den Mitgliedern. Die WSA veranstaltet seit 1959 etwa alle vier Jahre einen Subud-Weltkongress. Der letzte fand im Jahr 2000 in Bali statt.
Nebst normalen Mitgliedern gibt es so genannte Helfer. Dabei handelt es sich um Mitglieder mit mindestens sieben-jähriger Erfahrung in Subud, deren Aufgabe es ist, sich um die Mitglieder zu kümmern, beim Latihan der Gruppe anwesend zu sein, Anwärtern und Interessierten Erklärungen über Subud zu geben und bei der Öffnung neuer Mitglieder dabei zu sein. Insofern sind sie eine Art Leiter der lokalen Gruppe. Es kann aber durchaus auch Gruppen mit zwei Helfer geben. Zum Helfer kann man durch andere Mitglieder gewählt werden. Früher wurden diese Wahlen durch den Gründer bestätigt, heute geschieht die Bestätigung durch das Einverständnis der Mitglieder und Helfer anderer Gruppen. Falls die Mitglieder mit dem Wirken eines Helfers nicht zufrieden sind, können sie dies den übergreifenderen Komitees melden, die für organisatorische Belange der Bruderschaft verantwortlich sind.
Die Mitglieder von Subud sind registriert, insofern besteht eine Kontrolle sowohl über die Zahl der bisherigen Mitglieder als auch über Neuzugänge. Charakteristisch für die Gemeinschaft ist aber, dass keine öffentliche Werbung betrieben wird und es keine breit angelegten Missionsbestrebungen gibt. Es wird davon ausgegangen, dass Subud sich durch persönlichen Kontakt verbreitet, dass Menschen, für die Subud der richtige Weg ist, von selbst oder durch Zufall darauf stossen werden. Viele Mitglieder bleiben ein Leben lang bei Subud, andere brechen zwischenzeitlich den Kontakt zur Gruppe ab oder kommen nur sporadisch zum Gruppenlatihan. Wieder andere treten förmlich durch eine schriftliche Mitteilung aus, andere distanzieren sich kommentarlos. Über Austritte wird keine Kontrolle geführt. Es ist jeder Person scheinbar freigestellt, in der Bruderschaft zu bleiben oder einen anderen Weg einzuschlagen. Ein Ausschluss aus der Gemeinschaft wäre unter Umständen denkbar, etwa wenn ein Mitglied mit dem Gesetz in Konflikt gerät. Der Beitritt zu Subud kostet nichts. Ab dem 17. Altersjahr kann man aufgenommen werden. Normalerweise geht der Initiation ins Latihan eine mindestens dreimonatige Wartezeit voraus, in welcher sich der Anwärter über Subud informieren soll und die Mitglieder selbst erkennen können, wie ernst dem Interessenten das Anliegen ist. Freiwillige Spenden werden, wie es auf der offiziellen Internet-Site (5) heisst, erwartet, da für den Kauf oder die Miete von Gruppenräumen und für die Kommunikation Kosten anfallen. Laut einer Helferin habe der Gründer einmal vorgeschlagen, dass die Mitglieder 7% ihres Einkommens Subud spenden sollen, woran sich aber wahrscheinlich niemand halte. Über die Spendenbeiträge wird offenbar kaum Kontrolle geführt. Mitgliedern, die aufgrund ihrer finanziellen Situation keinen Beitrag leisten können, werden mitunter sogar die Reisen zu den internationalen Treffen bezahlt. Zumindest das Schweizer Komitee ist derzeit jedoch am Prüfen anderer Regelungen, da das gegenwärtige System der Beitragszahlungen nach Eigenangaben Probleme bereitet.
Nebst der Befriedigung der Bedürfnisse der Mitglieder ist ein weiteres Ziel der Subud-Bruderschaft, die Zusammenarbeit der Mitgliedern in sozialen und humanitären Projekten, in der Jugendarbeit oder bei kulturellen und unternehmerischen Aktivitäten zu fördern. So entstanden mit der Unterstützung von Subud verschiedene Einrichtungen wie Schulen, Spitäler, Heime, Jugendorganisationen etc., aber auch Grossunternehmen wie Banken und Firmen. Auch wurden so genannte "wings" (6) gegründet, autonome Tochtergesellschaften der WSA, deren Ziel es ist, die Werte Subuds in verschiedene, vor allem karitative und kulturelle Bereiche zu tragen (7). Nach eigenen Angaben beteiligen sich an diesen Aktivitäten nur bisherige Mitglieder und es sei nicht das Ziel, an „wings"-Events Neumitglieder anzuwerben. Eine solche Tochtergesellschaft ist etwa die "Susila Dharma International Association" (SDIA) (8), eine NGO mit Konsultativstatus u.a. bei der Unicef mit Hauptsitz in Vancouver. Deren Mitglieder unterstützen soziale und humanitäre Projekte. Eine weitere Organisation ist die "Subud International Cultural Association" (SICA) (9), eine Vereinigung zur Förderung des künstlerischen Bereichs sowie der internationalen kulturellen Kooperation. Wichtig ist auch die "Subud Youth Association" (SYA) (10), die sich zum Ziel gesetzt hat, die Jugend bei der Entdeckung und Entwicklung ihrer Talente sowie bei der Orientierung betreffen Ausbildung und Berufsfindung mit entsprechenden Programmen zu unterstützen. In der Schweiz existieren aus finanziellen Gründen keine karitativen und sozialen Projekte, und auch die „wings" sind nicht sehr aktiv.

5 Das Herzstück: Das Latihan Kejiwaan

Der Kern aller Subud-Aktivitäten ist der Vollzug des Latihan Kejiwaan, was im Indonesischen "geistige Übung" bedeutet (vom Verb "latih": vertraut werden). Allerdings sei darunter kein willentliches, aktives Üben zu verstehen. Im Gegensatz zu anderen spirituellen Übungen, bei denen der Wille durch äussere Impulse, Vorstellungen und Vorbilder aktiviert werde, verlaufe das Latihan autonom, ohne Beteiligung des Willens, Intellekts und Gefühls. Es handle sich dabei also eher um ein Geübt-werden, ein Empfangen, eine Erfahrung. Durch den Kontakt mit der Kraft Gottes, der sich bei völliger innerer Ruhe und Verzicht auf gezielte Gedanken und Vorstellungen einstellt, werde die Seele geöffnet und gereinigt, wobei jeder Mensch dies auf individuelle Weise spontan erlebt. Es gibt also keinerlei Vorschriften und keinen Ablauf in der Übung, sondern man folgt allem, was gerade in einem entsteht. Das erste Latihan, auch Öffnung genannt, kann nach der erwähnten Wartezeit von mindestens drei Monaten stattfinden. Das heisst, dass der Anwärter beim Latihan des Helfers und der anderen Mitglieder dabei sein darf und dadurch bei ihm ein analoges Geschehen induziert wird. Danach wird die Übung in der Regel zweimal pro Woche gemacht und dauert jeweils etwa eine halbe Stunde. Sie könne auch von einer Person allein durchgeführt werden, doch sei es Ziel und Bedürfnis der Mitglieder, die Übung wenn möglich zusammen in den dafür vorgesehenen Räumen zu vollziehen. Dabei sollen Frauen und Männer die Übung wegen ihrer unterschiedlichen Natur und der erhöhten Sensibilität während der entscheidenden Phase getrennt durchführen, um jegliche Verwirrung zu vermeiden. Ein Mitglied deutet diese Empfehlung so, dass man durch das Erleben dieses Offen-Seins während des Latihan auch sexuelle Regungen verspüren könnte und dass sich dies, wenn auch Sexualität keineswegs verteufelt würde, zum Zeitpunkt, da man mit der göttlichen Kraft in Kontakt treten möchte, störend auswirken könnte.
Für Aussenstehende ist es schwierig, die Erfahrungen des Latihan nachzuvollziehen. Es bleibt unklar, was dabei genau geschieht. Von aussen betrachtet präsentiert sich der Ablauf etwa folgendermassen, wobei dieser von Gruppe zu Gruppe variieren kann (11): Die Gruppe begibt sich in den Raum, in dem für die Dauer der Übung auf künstliche Beleuchtung verzichtet wird, und setzt sich auf den Boden. Dann folgen einige Minuten der Stille, in denen jeder versucht, sich zu leeren, sich für den Empfang vorzubereiten. Dies kann begleitet sein durch eine Art individuelles Gebet um das Empfangen dessen, was gerade wichtig und nötig ist, sowie um die Kraft, dies ins tägliche Leben integrieren zu können. In der anschliessenden Phase folgt jede Person mit geschlossenen Augen dem, was sie empfängt. Dabei ist es wichtig, sich möglichst keinem Einfluss der Aussenwelt auszusetzen, auch dem Verhalten der anderen Personen im Raum sollte keine Beachtung geschenkt werden. Dieses Empfangen kann sich äussern in (ungewollten) Bewegungen, Vibrationen, Töne, die gesungen werden, verbalen Äusserungen (fremde Sprachen, Unverständliches, Tierlaute), Lachen, Weinen, liegen bleiben, umher gehen usw., wobei das Ganze nie einen hysterischen oder tranceartigen Charakter haben sollte. Es wird auch berichtet, dass es zu Visionen oder auditiven Phänomenen kommen kann, die von den Ausübenden z.B. als Erscheinen religiöser Gestalten wie Jesus oder Maria gedeutet werden. Wenn die halbe Stunde vorbei sei, und dies spüre man jeweils, ohne auf die Uhr zu schauen, kommt man zum Stillstand und die Übung ist beendet. Darauf folgt oft eine Phase des ungezwungenen Gesprächs unter den Mitgliedern.
Dass die Konfrontation mit Essentiellem, wie sie im Latihan geschehe, nicht nur als klärend, heilend und inspirierend, sondern auch als schwierig und herausfordernd empfunden werden kann, gesteht man sich bei Subud ein. Das Wahrnehmen der eigenen Schattenseiten und des persönlichen Schuttes, von dem man sich reinigen müsse, sei nicht immer angenehm. Aussenstehende Autoren schliessen nicht aus, dass solche Übungen in schlimmen Fällen zu psychischen Störungen führen können. Geels (12) beschreibt die Ambiguität dieser psychoreligiösen Technik folgendermassen: Um "empfangen" zu können, wird eine Schwächung bzw. ein Ausschalten der psychischen Widerstandsfunktionen gefordert. Diese Widerstandsmechanismen seien aber auch die Schleusen, die entweder zu mehr Bewässerung und damit reicherem Ertrag oder aber zu Überschwemmung und Zerstören der Ernte führen. Wie sich die Auswirkungen präsentieren, hängt von der psychischen Disposition der jeweiligen Person ab. Die Möglichkeit, in einem geschützten Rahmen alles herauf kommen zu lassen (ungeachtet dessen, ob diese Äusserungen dann als Stimme Gottes oder als unterdrückte menschliche Gefühle interpretiert werden), kann bei einem integrierten, gesunden Menschen durchaus als kathartisch, befreiend und wohltuend empfunden werden. Solange sich das Erleben von ausseralltäglichen Phänomenen wie Visionen und Stimmen auf die Zeitspanne des Praktizierens beschränkt, also reversibel ist, mag der Zweck von Mystik erreicht sein. Dies kann sich unter Umständen, wie in Subud oft berichtet wird, in einer enorm gesteigerten Kreativität ausdrücken. Wenn solches Erleben aber nicht mehr kontrollierbar ist, irreversibel wird, kann sich Mystizismus in seine Kehrseite, den psychiatrischen Fall, wenden. Problematisch ist das vor allem dann, wenn kompetente Hilfe und professionelle Begleitung fehlen. In den meisten Fällen aber habe das Latihan positive Auswirkungen, häufig würden psychosomatische oder psychosoziale Störungen behoben. Heilungen stünden nicht ausserhalb der Naturgesetze und kommen vor (13), werden aber als Nebenwirkungen der Übung gesehen und so aus dem Zentrum gerückt. Subud versteht sich nicht als Heilungsbewegung.
Ein psychologischer Erklärungsversuch dessen, was während der "geistigen Übung" vor sich geht, lässt sich dahingehend zusammenfassen, dass solche spontanen Gefühle, Äusserungen und Handlungen deshalb auftreten, weil die Umstände des geschützten Raumes und die unterwürfige Haltung den Widerstand schwächen und es erlauben, dass Unterdrücktes ins Bewusstsein dringt. Sozialpsychologisch wichtig ist die Tatsache, dass solche Ausbrüche in Indonesien, also im Entstehungsraum dieser Praktik, speziell als unangemessen angesehen werden und die sozialen Restriktionen sehr streng sind. Eine mystische Deutung als religiöse Erlebnisse liegt in einem kulturellen Umfeld, das mit dem Vorhandensein einer unsichtbaren Welt rechnet, die sich einem jederzeit enthüllen kann, nahe. Es erübrigt sich zu sagen, dass solches religiöses, reinigendes Erleben auch in der westlichen, stark rational orientierten Welt einem Bedürfnis entspricht (14).

6 Das Menschenbild

Das Menschenbild, wie es sich in den Reden Muhammad Subuhs präsentiert, zeichnet sich durch ein komplexes Gefüge verschiedener Lebenskräfte, Leidenschaften und Körper des Menschen aus. Dazu kommt ein vermutlich hinduistisch beeinflusstes Seelenkonzept, das mit mehreren Ebenen der Seele rechnet, die zugleich Sphären des universellen Lebens sind.
Das Prinzip menschlicher Existenz ist bei Subud ein geistiger Wesenskern, der am Strom der göttlichen Lebenskraft partizipiert. Um diesen Kern herum sind die verschiedenen Stufen der Seele, auch Jiwa genannt, angelegt. Im offiziellen Subud-Emblem, in dem sieben konzentrische Kreise in sieben Segmente geteilt werden, wird dieses Konzept visualisiert:
Die Kreise sind Abbild der sieben Ebenen des Bewusstseins und des darauf bezogenen universellen Seins. Die Linien, welche die Kreise durchschneiden, bedeuten, dass auf allen Ebenen die gleichen Zustände und Eigenschaften wiederkehren. Es wird also mit verschiedenen Graden der spirituellen Entwicklung gerechnet. Ziel ist die Rückkehr zum geistigen Ursprung, zu Gott. Dies ist auch in gnostischen Entwürfen ein wichtiges Merkmal.
Das menschliche Wesen stammt nach Subud-Auffassung nicht von dieser Welt, sondern ist immateriellen Ursprungs. Gott aber schickt den Menschen in diese Welt, damit er lernen und Erfahrungen sammeln kann. In dieser Welt und im Menschen wirken sieben verschiedene Lebenskräfte, die hierarchisch von der niedrigsten bis zur höchsten gegliedert werden können: die materielle oder satanische, die pflanzliche, die tierische, die normal-menschliche, die wirklich-menschliche Kraft und zwei weitere höhere Kräfte, die nur mit indonesischen Bezeichnungen genannt werden. Im Menschen wirken im Normalfall die vier niederen Kräfte, und nur diese seien dem Verstand des Menschen zugänglich. Die drei höchsten Lebenskräfte befänden sich über der üblichen menschlichen Stufe und seien deshalb äusserst schwer zu beschreiben und noch viel schwerer zu erfassen. Letztere sei diejenige Kraft, die dem allmächtigen Gott am nächsten sei. Ziel ist zunächst, sich zum wirklichen Menschen zu entwickeln, sich die fünfte Kraft zu erschliessen, und danach sukzessive zu den höchsten Kräften vorzudringen. Die Präsentation und Diskussion dieser sieben Kräfte, insbesondere der vier niedrigeren, ist ein bevorzugtes Thema in den Reden Muhammad Subuhs. Ein anderer Gegenstand, der gerne erörtert wird, ist der Kampf mit den verschiedenen Begierden bzw. Leidenschaften des Menschen, welche mit dem indonesischen Wort Nafsu bezeichnet werden. Von diesen gebe es vier verschiedene Typen, die jeweils einer der vier niedrigen Lebenskräfte entsprechen, aber nicht mit ihnen identisch sind. Sie seien üblicherweise vermischt und bewirken entweder eine positive oder eine negative spirituelle Entwicklung des Menschen. Nach Meinung des Gründers beherrschen die vier niedrigen Lebenskräfte sowie die Nafsu fälschlicherweise in der Regel den Menschen. Ziel ist es nun nicht, diese Kräfte zu eliminieren, aber ihren Einfluss auf ihre lebensnotwendige Funktion zu reduzieren. Sie sind der Antriebstoff, der die Menschen befähigt, sich zu ernähren, fortzupflanzen und in dieser Welt überhaupt leben zu können. Sie sind also nicht per se schlecht, sondern ein nützliches Werkzeug. Des weiteren gehört zur Ausstattung des Menschen eine Vierzahl von Körpern: der physische Körper, der Körper der Gefühle und Emotionen, der Körper des Verstehens und der Körper des inneren Friedens, die ihm ebenfalls helfen sollen, in der materiellen Welt zu leben.
Erste Voraussetzung zur Verwirklichung seiner selbst als „wirklicher Mensch" und damit zur Rückkehr zu Gott ist das Spüren seiner Absenz und der Sehnsucht nach Gottesnähe. Durch die Öffnung wird es dem Wesenskern des Menschen ermöglicht, Kontakt zur Grossen Kraft zu finden. Durch das stetige Ausüben des Latihans wird ermöglicht, dass die Lebenskräfte allmählich vom Meister zum Diener des Menschen werden und ihren rechten Platz einnehmen. Dann können sich vielerlei positive Wirkungen einstellen, sei es, dass man seine Talente entdeckt und kreativer wird, sei es, dass sich ein grösseres Bewusstsein für soziale Unterschiede entwickelt. Extreme Emotionen wie Trauer, Verwirrung, aber auch Glück weichen einer Ausgeglichenheit und Gelassenheit, in der göttliches Erleben möglich wird.
Immer wieder wird betont, dass es sich bei diesen Angaben zum Menschen und zum Kosmos nicht um eine Lehre oder Doktrin handle. Sie sollen den Mitgliedern lediglich erleichtern, eine Erklärung für die Vorgänge während des Latihan zu finden. So wurden denn die Auffassungen, die in den Reihen Subuds über die Natur der Seele und die Dynamik von Kräften geäussert wurden, auch nie als ein verbindliches, alle Mitglieder der Bruderschaft verpflichtendes Lehrsystem festgeschrieben. Offensichtlich handelt es sich dabei um das persönliche, von verschiedensten Seiten beeinflusste und vom kulturellen Kontext gezeichnete Menschen- und Weltbild des Gründers selbst, das anfangs eher vage war, im Laufe seines Lebens aber immer mehr ausgearbeitet wurde. Von den heutigen Mitgliedern werden die beschriebenen Konzepte aber nicht unbedingt übernommen. Befragt nach dem Menschenbild bei Subud antworteten sie, dass es ein solches ebenso wenig gebe wie ein allgemeingültiges Weltbild oder etwa von allen geteilte Nachtodvorstellungen. Die Meinungen würden je nach Mitglied, dessen Herkunft und Religionszugehörigkeit differieren und seien frei. Der Ausübende kann die schwer überschaubaren psychologischen Systeme des Gründers also durchaus zunächst als für sich irrelevant ausser Acht lassen. Es wurde angemerkt, dass solche Fragen den Kern der Sache nicht treffen, sondern irrelevante Details bemühen. Minimalkonsens scheint der Glaube daran zu sein, dass der Mensch göttlicher Herkunft ist und das Göttliche in sich trägt.

7 Kritische Überlegungen zu Aussagen des Gründers

In diesem Abschnitt sollen drei ausgewählte Themenbereiche, die sich aus den Reden Muhammad Subuhs heraus kristallisieren, kritisch hinterfragt und die Reaktionen von Mitgliedern bei der Konfrontation mit diesen Themen dargestellt werden.

Karmaverständnis:

Nach Muhammad Subuhs Verständnis des Begriffes Karma kumulieren sich die Fehler und Vergehen eines Menschen nicht über die Reihe der eigenen vorherigen Existenzen wie in der indischen Karma-Lehre üblich, sondern über die Generationen der Vorfahren. Ein Mensch trägt die Last der von seinen Eltern, Grosseltern etc. begangenen Fehlern sowie deren Schwächen und Laster mit und muss beständig versuchen, sich davon zu reinigen. Das Ausüben des Latihan soll diesen Reinigungsprozess ermöglichen und unterstützen. Ist die Übung nicht erfolgreich, so liegt das am Ausmass der angehäuften Fehler. Die Verantwortung, die weit über das persönliche Verschulden hinausgeht, kann die Mitglieder erdrücken. Das Karmaverständnis trägt zudem sozialen und politischen Faktoren zu wenig Rechnung, indem gesellschaftliche Prozesse personalisiert und psychologisiert werden. Auch wenn die Mitglieder bestätigen, dass die Last tatsächlich enorm sei, verstehen sie die Thematik doch weniger als Übernahme von erdrückender Schuld, als vielmehr von psychologischen Mustern, die durchbrochen werden müssen und können, oder als stellvertretendes Auf-sich-Nehmen einer Problematik, mit der ein Elternteil nicht umgehen konnte. Betont wird also eher der Aspekt der sich damit stellenden Aufgabe. Der Weg des Reinigungsprozesses tritt gegenüber dem Endziel des Rein-Seins in den Vordergrund.

Nivellieren von sozial, kulturell und individuell unterschiedlichen Ausgangslagen:

Folgende Aussagen des Gründers sind insofern problematisch, als dass sie einerseits dem einzelnen Menschen zuviel Eigenverantwortung aufbürden und andererseits die Tatsache ignorieren, dass den Menschen in verschiedenen Teilen der Erde unterschiedliche Privilegien und Ressourcen zur Verfügung stehen: „Gott trifft für alle Bedürfnisse des Menschen Vorsorge. Es kommt nur darauf an, wie er arbeitet und handelt." (15) „Gott hat uns Intelligenz gegeben und die Fähigkeit, uns alles zu beschaffen, was wir nötig haben." (16) „Gott ist gerecht. Wenn Menschen arm und im Elend sind, ist es der Fehler des Menschen selbst." (17) Fatalistische Unterwerfung unter die Konditionen des Lebens fordern Sätze wie „Klagen heisst, der Grösse Gottes nicht zu vertrauen." (18) Auf diese Weise kann der Leser das Gefühl bekommen, er allein sei Schuld an seiner unvorteilhaften geografischen, sozialen, gesundheitlichen und mentalen Ausgangslage.
Von den Mitgliedern werden solche Aussagen aber vor allem als positiver Zuspruch und Aufforderung, die Verantwortung für sich selbst zu übernehmen, gedeutet. Eine schlechte Ausgangslage könne durch verschiedene Faktoren wie Schicksal, Vorfahren und Karma bedingt sein und sollte mit Hingabe angenommen werden. Am wichtigsten aber sei es, Mut zu haben, aktiv zur Situationsveränderung beizutragen, es also nicht bei der Unterwerfung unter die Lebensbedingungen zu belassen.

Überhöhte Heilsversprechungen

In den Reden Muhammad Subuhs werden den Mitgliedern, welche die geistige Übung Latihan stetig und richtig praktizieren, zahlreiche positive Veränderungen, ja ein Leben in Zufriedenheit und Wohlstand, in Aussicht gestellt. Auch von Erfolg ist oft die Rede. Um diese positiven Auswirkungen unter Beweis zu stellen, wird an Versammlungen oft ein Verfahren angewendet, das Testen genannt wird. Dabei soll der Unterschied zwischen einer normalen Lebensführung und einem Leben nach dem Willen Gottes, der durch das Latihan vermittelt wird, durch konkrete Demonstrationen gezeigt werden. Die Versprechen betreffen den Bereich der persönlichen Talente und damit auch das berufliche Feld sowie die persönliche Entwicklung. So postulierte der Gründer etwa, dass die Subudmitglieder vor ihrer Öffnung beruflich nicht besonders hervor stechen, sich nach längerer Zeit des Ausübens der geistigen Übung jedoch zu geachteten, erfolgreichen Respektspersonen mit ausserordentlichem Ruf entwickeln würden. Und da ihre Leistungen so aussergewöhnlich sein würden, liesse sich damit natürlich auch eine Menge Geld verdienen und die Mitglieder würden dann in der Lage sein, etwas von ihrem Einkommen der Subud-Bruderschaft zu überweisen. Dabei scheint es allein vom einzelnen Menschen abzuhängen, ob sich diese positiven Veränderungen einstellen oder nicht, was einen enormen Druck bedeutet. „Die Leute, denen es nicht gut geht, fragen Gott zu wenig, geben sich zu schnell zufrieden." (19)
Ein Mitglied meint, der Gründer habe so grosse Versprechungen vor allem in der Frühphase der Bewegung gemacht, sie später aber relativiert, nachdem er gesehen hat, dass die Reinigung der Mitglieder nicht so schnell vor sich ging. Das Versprechen bezüglich Erfolg müsse differenziert verstanden werden: Ein Erfolg sei es, wenn ein Mensch den für ihn vorgesehenen Weg findet und gehen kann. Erfolg sei also individuell verschieden und sollte nicht als pauschaler Ausdruck von Leistung oder Materiellem interpretiert werden. Ein anderes Mitglied glaubt, dass sich die von Muhammad Subud in Aussicht gestellten positiven Auswirkungen tatsächlich irgendwann einstellen, man müsse nur genügend Geduld haben. Einem Druck setze man sich als Mitglied höchstens selbst aus.
Die befragten Mitglieder fühlten sich durch die kritischen Anfragen nicht persönlich angegriffen oder in Frage gestellt. Die meisten ihrer Erwiderungen relativierten die extremen Aussagen des Gründers.

 

8 Zusammenfassung und Beurteilung

Insgesamt präsentiert sich Subud als synkretistische neue religiöse Bewegung mit stark monotheistischen und leicht pantheistischen Tendenzen. Die Aufnahme gnostischer Elemente und die Beeinflussung durch den Sufismus tragen zu einem mystischen Charakter der Bewegung bei. Mit der Betonung des individuellen Erlebens der göttlichen Kraft spricht Subud einem Antirationalismus das Wort und macht sich gegen den Einflusses der negativ gewerteten menschlichen Komponenten Verstand und Herz und für ein Leben aus dem Inneren stark. Subud soll den Mitgliedern auf dem Weg zum „wirklichen Menschen" helfen, wobei dieser Weg kein weltabgewandter, menschenscheuer, sondern ein praxisorientierter Weg ist, der stets auf Umsetzung des im Inneren Erfahrenen bedacht ist.
Im Aufbau der Organisation ist eine normale Hierarchie vorhanden, die Struktur ist demokratisch. Die Führung wird in regelmässigen Abständen ausgewechselt, es besteht wahrscheinlich keine Asymmetrie der Interessen zwischen der Führung und den übrigen Mitgliedern. Mit dem Gründer Muhammad Subuh ist zwar eine zentrale Gestalt vorhanden, diese lehnt aber guruistische Ansprüche ab. Der einzige Lehrer und Führer bei Subud sei Gott, der sich im Inneren jedes einzelnen Menschen manifestiert. Inwiefern bei gewissen Mitgliedern trotzdem ein Personenkult festzustellen ist, ist unbekannt. Auf die interviewten Mitglieder trifft das - so weit es im Gespräch beurteilt werden konnte - nicht zu. Innerhalb der Gemeinschaft muss gemäss den Aussagen der befragten Mitglieder niemandem Gehorsam geleistet werden. Die finanziellen Erwartungen an die Mitglieder sind bisher offenbar nirgends verbindlich festgelegt und bewegen sich in einem vernünftigen Rahmen. Die Kommunikation nach aussen scheint sehr nüchtern, informierend zu sein (20). Auf aktive Missionierungs- oder Werbestrategien wird verzichtet. Über Kritiker und Aussteiger äussert man sich mit Bedauern, respektiert aber deren Meinung bzw. Entscheidung. Ein Austritt aus der Bruderschaft ist formell jederzeit problemlos möglich. Die emotionale Bindung an die Gemeinschaft, welche eine Loslösung erschweren kann, wird indviduell verschieden stark ausgeprägt sein.
Als p roblematische Aspekte der Gruppe könnten die erwähnten hohen Versprechen durch das Ausüben des Latihan, das vom Gründer mitunter wie ein Universalrezept für sämtliche Probleme des Lebens dargestellt wird, genannt werden sowie die damit verbundenen Erwartungen, deren Erfüllung unrealistisch erscheint. Problematisch ist die umfassende Verantwortung, die dem einzelnen für sein Wohlergeben übertragen wird. Zudem sind die Wirkungen der psychoreligiösen Techniken des Öffnens und des Latihan unklar. Bewusstseins- und persönlichkeitsveränderndes Potenzial muss ihnen zugetraut werden. Zuweilen werden Bedenken wegen vermuteter Übertragungsphänomene erhoben (21).
Subud will selbst keine Religion, sondern eine universelle Bewegung sein und akzeptiert die Zugehörigkeit seiner Mitglieder zu einer der traditionellen Religionen. Fraglich ist, ob Vertreter der Religionen die Einschätzung der Vereinbarkeit teilen würden. Von christlicher Seite wurden schon Bedenken angemeldet, da alle kultischen Handlungen der Religionen als unwesentlich betrachtet würden und da die Anwendung dieser im ausserchristlichen Raum entstandenen psychoreligiösen Technik nicht als wertneutral angesehen werden könne (22). Die Lehre von Subud stellt die herkömmlichen Religionen durchaus in Frage, weil sie davon ausgeht, dass erst die durch Subud vermittelte geistige Übung es ermöglicht, die in den Religionen enthaltene Botschaft der Liebe umzusetzen.
Insgesamt scheint die Subud-Bewegung die Kriterien, welche infoSekta zur Beurteilung der Sektenhaftigkeit einer Gruppe heranzieht, nicht im umfassenden Ausmass zu erfüllen. Es wurden denn auch im Laufe der zehnjährigen Beratungszeit keine Anfragen oder Problemfälle betreffend Subud an infoSekta herangetragen, woraus man schliessen kann, dass die Gemeinschaft für Anhänger und deren Angehörige nicht systematisch und wiederholt aktenkundige Probleme verursacht.

Anmerkungen

(1) Siehe Literaturverzeichnis am Ende des Artikels.

(2) Der Prototyp dieses Phänomens ist natürlich der Aufstieg des islamischen Propheten Mohammed selbst, wie er im Koran, Sure 17:1, beschrieben ist.

(3) Arabisch: Beschützer / Wohltäter / Vertrauter (Gottes), der in der Lage ist, Wunder zu wirken. Im volkstümlichen Islam spielt die Verehrung von Wali's eine bedeutende Rolle.

(4) Schmid & Schmid (2003) schätzen die weltweite Mitgliederzahl auf etwa 11'000 Menschen, was eine durchschnittliche Gruppengrösse von 28 Leuten ergäbe. Für die Schweiz schätzen sie die Zahl der Mitglieder auf 50. Nach Angaben der befragten Mitglieder existieren in der Schweiz ca. 7 Gruppen, wobei die Grösse variiert, die durchschnittliche Zahl von 7 - 8 Personen aber realistisch erscheint. Kirchen, Sekten, Religionen, S.310.

(5) www.subud.org

(6) Einen Überblick über diese Tochtergesellschaften bietet z.B. www.subudcanada.org/wings.htm

(7) Ein Beispiel für Deutschland ist der Verein "Dewi Saraswati Hamburg, Patenschaftskreis für die Ausbildung chancenarmer Kinder e.V.".

(8) www.susiladharma.org

(9) www.subud-sica.org

(10) www.subudyouth.org

(11) Eine andernorts praktizierte Variante besteht darin, dass der Gruppenraum während einer Stunde zur Verfügung steht und jedes Mitglied individuell sein Latihan, ungleichzeitig mit den anderen, durchführt.

(12) Antoon Geels, Subud and the Javanese Mystical Tradition, S.162ff.

(13) Wie etwa die Aufsehen erregende Heilung der Schauspielerin Eva Bartòk im Jahre 1957, die in vielen Outsiderquellen Erwähnung findet, z.B. Manfred Meitzner in Lexikon der Sekten, Sondergruppen und Weltanschauungen, S.1022.

(14) Als weitere Gründe für die attraktive Wirkung der Gruppe kommen folgende Aspekte in Frage: Subud postuliert, eine religiöse Grunderfahrung zu erschliessen, die alle Grenzen existierender Religionen und Denominationen hinter sich lässt. Diese Vorstellung kommt dem gegenwärtigen Drang, geschichtlich gewachsene Grenzen zu überschreiten, dem Bemühen um Universalisierung, das auch vor dem religiösen Bereich nicht Halt macht, entgegen. Zudem betont Subud gegenüber der verbreiteten Auffassung des Menschen als genormtes und durch materielle Bedürfnisse bestimmtes Wesen seine Einzigartigkeit und Eigenart als Träger von Bewusstsein, der eine Bestimmung hat.

(15) Sumohadiwidjojo, Für die ganze Menschheit, S.21.

(16) A.a.O., S.42.

(17) A.a.O., S.147.

(18) A.a.O., S.206f.

(19) A.a.O., S.121.

(20) Siehe offiziellen Internetauftritt: www.subud.org (Stand 2.6.2003)

(21) Lexikon der Sekten, Sondergruppen und Weltanschauungen, S.1023.

(22) Handbuch Religiöse Gemeinschaften und Weltanschauungen, S.655.

Literaturverzeichnis

Gasper, Hans; Müller, Joachim und Valentin, Friederike (Hg.). 1994. Lexikon der Sekten, Sondergruppen und Weltanschauungen: Fakten, Hintergründe, Klärungen. Freiburg im Breisgau

Geels, Antoon. 1997. Subud and the Javanese Mystical Tradition. Richmond

Reller, Horst; Krech, Hans und Kleiminger, Matthias (Hg.). 2000. Handbuch Religiöse Gemeinschaften und Weltanschauungen. Gütersloh

Schmid, Georg und Schmid, Georg Otto (Hg.). 2003. Kirchen, Sekten, Religionen. Religiöse Gemeinschaften, weltanschauliche Gruppierungen und Psycho-Organisationen im deutschen Sprachraum. Zürich

Horthy, Sharif. 2000. My personal introduction to a spiritual path. SUBUD. Los Angeles

Sawrey-Cookson, Roseanna: A first introduction to SUBUD. Oxon, ohne Jahresangabe

Subud Deutschland e.V. (Hg.). 1992. SUBUD. Information für Interessenten. Wolfsburg

Subud Publications International (Hg.). 1969. For applicants to membership of the Subud Brotherhood. A selection of appropriate extracts from Bapak's writings and talks. London

Sumohadiwidjojo, Bapak Muhammad Subuh. 1981. Für die ganze Menschheit. Siebzehn Ansprachen auf der Weltreise 1981. Wolfsburg

 

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