Scientology: Eine Politikerin handelt - mit Erfolg! (Haller, 1996)

Susanne Haller hat im Juni 1996 die Schlagzeilen der Schweizer Presse erobert, als der Grosse Rat des Kantons Basel-Stadt ihre Motion "Scientology: Forderung nach Massnahmen für einen hinreichenden Konsumentinnen- und Konsumentenschutz" stillschweigend zur Stellungnahme an die Regierung überwies. Aufhänger für die Motion war das jahrelange Anwerbeverhalten von Scientology (und anderen Psychogruppen) auf öffentlichem Grund in der Basler Innenstadt. Nach Überprüfung und Gutheissung durch den Regierungsrat überwies das Parlament Mitte Dezember die Motion mit nur einer Gegenstimme definitiv an die Exekutive mit der Verpflichtung, innert Jahresfrist eine entsprechende gesetzliche Grundlage auszuarbeiten und dem Parlament vorzulegen. An der Generalversammlung des Vereins infoSekta vom 30. März 1997 hat Susanne Haller über sich und ihr Engagement berichtet.

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von von Susanne Haller


Weshalb eine gesetzliche Grundlage, ...

...die es "Gruppierungen und Einzelpersonen mit offensichtlich und erwiesenem sektiererischem Verhalten verbietet, mit aggressiven, suggestiven und rücksichtslosen Methoden neue Anhängerinnen und Anhänger auf öffentlichem Grund zu rekrutieren"(Motionstext)?

Ich habe mich lange vor meiner Wahl in den Grossen Rat mit Scientology beschäftigt. Vor etwa 12 Jahren machten mich Bekannte auf diese Organisation aufmerksam. Die Frage nach der persönlichen Freiheit hat mich schon immer stark interessiert. Mich beschäftigt das Machtpotential von Scientology. Und die Frage, wie und warum Menschen abhängig werden können von den Lehren dieser Organisation, und ob und wie sie sich wieder von Scientology lösen können.

Scientology ist ein weltweites, expansives Wirtschaftsunternehmen, welches durchaus professionell am Wirtschaftsleben teilnimmt. Scientology ist eine als Religion getarnte Firma. Gewerbetreibende dürfen in unserem Kanton nicht unbeschränkt und ohne Bewilligung auf öffentlichem Grund Werbematerial verteilen und potentielle Konsumenten anwerben. Ich fordere die gesetzliche Grundlage ganz klar unter der Prämisse eines hinreichenden Konsumentenschutzes: Es geht nicht an, dass auf dem öffentlichen Trottoir ahnungslose Personen angesprochen und zum Absolvieren eines Tests überredet werden, der sie verleiten könnte, sich naiv auf Scientology einzulassen. Der Forderung der Motion kann im Fall von Scientology durchaus unter gleichzeitiger Wahrung der Religions- und Glaubensfreiheit entsprochen werden. Religion ist hier nur Tarnung, von Hubbard geschickt in den 50er Jahren für seine Zwecke eingesetzt.

Die Situation in Basel

>Die in Basel sehr aktiven Scientologen lassen kaum eine Fussgängerin oder einen Fussgänger passieren, ohne sie anzusprechen und in ein Gespräch zu verwickeln. Schon seit vielen Jahren gilt dies als öffentliches Ärgernis; die Werbe- und Verkaufsmethoden der Scientologen führen immer wieder zu Beschwerden von seiten sich offensichtlich belästigt fühlender Passantinnen und Passanten. Namentlich beim Gewerbepolizeilichen Dienst gehen denn auch seit Jahren entsprechende Klagen ein. Nun gibt es auch in Basel keine gesetzlichen Grundlagen, welche es erlauben würden, gegen die Anwerbe-Tätigkeit dieser Organisation vorzugehen, solange auf Allmend kein Verkauf und keine Sammlung stattfindet. Die Angesprochenen werden in der Regel, wenn sie darauf eingehen, zunächst zum bekannten Test in Räumlichkeiten eines in der Nähe liegenden Hauses geführt. Dort findet in der Folge möglicherweise ein Verkauf von Kursen und Büchern statt. Unter diesen Umständen aber ist das Geschäft dem Einfluss sowohl des Hausiergesetzes, als auch des Gesetzes über die Inanspruchnahme der Allmend durch die Verwaltung und durch Private entzogen.

Zuerst eine Interpellation

Am 8. Mai 1995 fragte ich die Regierung mittels einer Interpellation ganz simpel: Dürfen Scientologen mehr tun als das Basler Gewerbe - und wenn ja, warum? In seiner Antwort teilte der Regierungsrat meine Besorgnis mit Bezug auf die zum Teil sehr aggressive Art und Weise der Rekrutierung neuer Anhängerinnen und Anhänger auf öffentlichem Grund. Der letzte Satz der Interpellations-Antwort war: "Sofern sich im Laufe der nächsten Zeit die bereits erwähnten Beschwerden häufen sollten, (...) behält sich der Regierungsrat vor, zur Abhilfe auch auf gesetzlichem Weg geeignete Massnahmen vorzuschlagen". Nun, ich sitze seit 4 Jahren in der Legislative, d.h. in dem Gremium, das Gesetze vorschlagen und legiferieren muss...

Dann die Motion

Eine Motion ist das stärkste Instrument des Basler Parlaments. In der Form einer Motion kann jedes Mitglied des Parlaments den Antrag stellen, es sei der Regierungsrat zu verpflichten, dem Grossen Rat zur Änderung der Verfassung oder zur Änderung eines bestehenden oder zum Erlass eines neuen Gesetzes eine Vorlage zu unterbreiten. Mit über 70 Unterschriften, quer durch sämtliche Parteien hindurch, erlebte ich eine grosse Zustimmung im Rat. Die Regierung ist nun verpflichtet, innert Jahresfrist, d.h. bis Dezember 1997, eine gesetzliche Grundlage auszuarbeiten und dem Parlament vorzulegen, "welche es Gruppierungen und Einzelpersonen mit offensichtlich und erwiesenem sektiererischem Verhalten verbietet, mit aggressiven, suggestiven und rücksichtslosen Methoden neue Anhängerinnen und Anhänger auf öffentlichem Grund zu rekrutieren". Als zweite Forderung sind "Massnahmen gegen die Anwerbung Minderjähriger gesetzlich vorzusehen und durchzuführen, und in diesem Zusammenhang ist dafür zu sorgen, dass Aufklärung über die Methoden bzw. das Funktionieren von Sekten und sektenähnlichen Gruppierungen im Schulunterricht angeboten wird".

Für überwiesene Motionen an die Regierung gilt eine Frist zur Erfüllung von bis zu vier Jahren. Erstaunlich ist, dass die Exekutive selbst eine Frist von einem Jahr vorschlug. Ich kann mir sehr gut vorstellen, wie schwierig es für die Juristinnen und Juristen nun sein wird, eine Vorlage auszuarbeiten, welche als unkomplizierte gesetzliche Norm so formuliert sein müsste, dass sie ein effizientes Vorgehen erlaubt. Diese Norm müsste auch so formuliert sein, dass sie nicht zu einem Einzelfallgesetz gerät, andererseits dürfte sie nicht so weit gehen, dass unerwünschte Nebeneffekte entstehen, etwa eine Verunmöglichung von an sich unproblematischen Aufklärungsaktionen in der Innerstadt (z.B. Anti-Raucher-Kampagne). Der Staat sollte sich ja grundsätzlich neutral verhalten. Also ist eine Unterscheidung von unproblematischen und problematischen Aktionen nicht ganz unbedenklich, zumal dahinter nie eine wertneutrale Beurteilung steht.

Reaktionen von Scientology

Nach der Einreichung der Motion haben Vertreterinnen und Vertreter von Scientology verschiedene Aktivitäten unternommen, um die Meinungsbildung zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Alle Ratsmitglieder wurden mittels Telefongesprächen und etlichen Briefen immer wieder aufgefordert, die Motion zurückzuziehen. Es wurde massiv Druck ausgeübt - noch nie war der Rat während eines Geschäftes derart bearbeitet worden. Es gehört ja zu den wichtigsten Stilmitteln der Scientology-Rhetorik, kühne Behauptungen aufzustellen, die sich im besten Fall an der Wahrheit orientieren, sie aber nicht wiedergeben. Die Ratsmitglieder wussten denn auch die Briefe und Telefonate in diesem Sinn zu interpretieren. Weder die Telefonate noch die von Scientology durchgeführte "Aussprache mit den Grossräten" vermochten auch nur eine einzige Information glaubhaft und durch unabhängige Quellen abgesichert zu widerlegen.

Scientology verbieten?

Wir möchten in Basel Scientology weder verbieten noch Aggressionen schüren. Wir wollen auch keine Grundsatzdebatte über Glaubens- und Religionsfreiheit anregen. Die Organisation Scientology soll allerdings als das behandelt werden, was sie ist: ein kommerzielles Unternehmen. Die Strassenwerbung ist Teil der Verkaufsmethoden. Was vermieden werden soll, sind Diskriminierung oder unverhältnismässige Massnahmen, z.B. die Einführung des S-Vermerkes, wie dies die Arbeitsämter in Bayern und Baden-Württemberg praktizieren: Firmen mit Scientology-Leitung werden damit gekennzeichnet, um Arbeitssuchende vor ungewollten Kontakten mit der Organisation zu schützen. Die beiden Bundesländer haben den Staatsschutz eingeschaltet, und Bayern möchte Scientologen die Anstellung in öffentlichen Ämtern verbieten. Als generelle Massnahmen gehen mir diese eindeutig zu weit. Ein solches Vorgehen ist Wasser auf die Mühlen von Scientology, welche sich - völlig unberechtigt - bereits mit den verfolgten Juden im 2. Weltkrieg vergleicht.

Klug wäre meiner Meinung nach eine Zusammenarbeit von Wirtschaft, Staat und Kirchen: Die Wirtschaft ist gefordert, weil Scientology im Begriff ist, sie für ihre Machtansprüche zu missbrauchen, der Staat, weil die Bürgerin, der Bürger vor dieser Organisation geschützt werden müssen (Konsumentenschutz!) und die Kirchen, weil sie Werte vertreten und zu vermitteln haben, die dem widersprechen, was Scientology (für viel Geld) lehrt und verbreitet.

Susanne Haller

Journalistin. 1988 bis 1992 war sie Laienrichterin am Zivilgericht Basel-Stadt; seit 1992 ist sie Mitglied des Grossen Rats (SP und Gewerkschaften). In ihrer Freizeit engagiert sie sich in einer Kabarett-Truppe, wo sie mit Leib und Seele auf der Handorgel spielt.

Appendix

Dieser Text wurde im infoSekta-Tätigkeitsbericht 1996, S. 16-19 abgedruckt.

© Mai 1997. Verein infoSekta.

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