Gentech, Sektenmythen und Sciencefiction (Deckert/Sträuli, 2003)

Fünf Jahre Klonbabys aus Raels PR-Labor

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von Dieter Sträuli, befragt von Bruno Deckert


Einleitung

Dieter Sträuli, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Psychologischen Institut der Universität Zürich und Kopräsident von infoSekta, befasst sich seit Jahren mit der Mythologie UFO-orientierter Gruppen, zu denen u.a. die Rael-Bewegung, die Gruppe «Heaven's Gate», Kreise um den Ausserirdischen «Ashtar» bzw. «Ashtar Sheran», die FIGU von Billy Meier und eher parawissenschaftliche Organisationen wie die MUFON-CES oder die Ancient Astronaut Society gehören. Bruno Deckert hat ihn befragt über eines der herausragendsten Medienthemen des Jahres 2003 im Zusammenhang mit dem Sektenphänomen: die Klonbabys der Rael-Bewegung.

Interview

Bruno Deckert: Wenn man das vergangene Jahr auf Sektenthemen hin betrachtet, stösst man auf die Raelianer mit ihrem Klon-Baby Ève. Wie siehst Du die Chronolologie dieser Ereignisse?

Dieter Sträuli: Als ich mich mit den Pressemeldungen zu diesem Thema beschäftigte, stellte ich mit Erstaunen fest, dass die Geschichte mit den Klonbabys bis ins Jahr 1997 zurückgeht. Kurz nachdem das Klonschaf Dolly geboren wurde, gründeten die Raelianer die Firma Clonaid. Deren Direktorin Brigitte Boissellier war Bischöfin der raelistischen Religion. Wir leben also schon über fünf Jahre mit den Klonbabys. Die Raelianer und der Gründer Claude Vorilhon selbst, der sich Rael nennt, haben es immer wieder verstanden, das Thema für die Schlagzeilen aufzubereiten. Es ist phänomenal zu sehen, wie Rael Tagesaktualitäten verwertet, um sich und seine Klonbabys, die es wahrscheinlich nie gegeben hat, immer wieder ins Gespräch zu bringen. Im Mai 2001 schrieb Rael an den japanischen Kronprinzen Naruhito, dessen Frau bisher kinderlos geblieben war, und schlug ihm vor, sich als Ersatz für ein eigenes Kind klonen zu lassen. Daraufhin hagelte es Pressemeldungen und Leserbriefe. Im August 2001 schlug Rael dann vor, Hitler zu klonen, um ihn seiner gerechten Bestrafung zuzuführen. Das hat die Leute schockiert und war so gesehen ein guter Schachzug. Im Mai 2002 hiess es dann in filmreifer Manier, Rael wolle Dracula klonen. Dahinter stand dieselbe Argumentation wie bei Naruhito: Der letzte Nachfahre der Familie Dracula in Rumänien war kinderlos, also schlug Rael ihm vor, ihn zu klonen, um das Geschlecht zu erhalten. Dracula ist einerseits ein realer Mensch, andererseits aber auch eine Filmfigur und eine Figur aus den Vampirromanen seit Bram Stoker. Rael bringt es immer wieder fertig, das Fantastische, das Fiktive zu «klonen» und es mit dem Realen zu vermischen.

Über das aktuelle Thema des Klonens sind wir zu Rael gekommen. Wer ist Rael, was ist er für eine Person?

Rael, mit bürgerlichem Namen Claude Vorilhon, ist 1973 mit der Mitteilung an die Öffentlichkeit getreten, dass er einen Ausserirdischen getroffen habe und von diesem zum Botschafter der Elohim ernannt worden sei. Das Weltbild dieser Ausserirdischen ist eine Art Neuauflage der biblischen Geschichten im technologischen Gewand. Die Arche Noah war demnach in Wirklichkeit ein Raumschiff, das nicht Tierpaare transportierte, sondern eine Gendatenbank mit der DNS von all diesen Tieren. Nach der Vernichtung von gentechnisch fehlgeschlagenen Experimenten (durch die Sintflut) sollte die Erde im Laufe neuer Experimente wieder bevölkert werden. Der Konflikt des Menschen zwischen naturwissenschaftlichem und religiösem Weltbild ist eine der Hauptursachen moderner Esoterik und vieler Sektenmythen. Solche Mythen versuchen, diese Kluft zu schliessen. Deshalb müssen die biblischen Geschichten neu erzählt werden. Das geht bis in die 50er Jahre zurück. Vor seinem ersten grossen Auftritt in der Olympia in Paris war Rael Journalist und Herausgeber einer Zeitschrift für Motorrennsport. Er war auch Chansonnier, schaffte es einmal mit einem Song sogar in die Charts. Er war ein junger Mann, der ganz gut lebte und liebte, das Leben zu geniessen versuchte, der dann wahrscheinlich in eine Krise geriet &endash; aber das ist Spekulation.Man gründet jedenfalls nicht so ohne weiteres eine Religion, die einen für den Rest des Lebens gefangen hält. Vorilhon suchte wohl nach etwas Neuem. Mit seinem Vortrag über seinen Kontakt mit den kleinen grünen Ausserirdischen zog er unglaublich viel UFO-fasziniertes Publikum an. In einem ersten Schritt trennte er sich dann von diesen Leuten, weil er keine Mitstreiter suchte, die primär von der technischen, parawissenschaftlichen Seite des UFO-Phänomens fasziniert waren. Er löste seine Gruppe auf und gründete eine neue Gemeinschaft, bei welcher nur «echte Gläubige» dabei waren. Das war Mitte der 70er Jahre, generell eine Zeit des Experimentierens, auch mit Glaubensvorstellungen. Vorilhons Botschaft hatte Erfolg und hat es noch heute.Wenn man mit überzeugten Raelianern spricht, ist man erstaunt, wie vehement sie diese Botschaft verteidigen, obwohl sie sich gleichzeitig liberal, gelassen und tolerant geben. Jeder könne glauben, was er wolle, sagen sie oft. Dahinter aber steht ein ganz starker Glaube an die Botschaft von Rael. Rael fand sich also in der Rolle des Gurus wieder. Heute gibt es Anzeichen dafür, dass er an der üblichen Störung eines Gurus, der nicht mit diesem Verhaltensschema aufgewachsen ist wie ein fernöstlicher Heiliger, leidet: Isoliertsein von der Realität, weil ihm zu viele Wünsche erfüllt werden. Er hat Mühe, den Kontakt mit der Realität zu behalten.

Wie ist es ausgehend von der Person «Rael» zu einer Bewegung gekommen, die inzwischen eine klarere Struktur angenommen hat?

Die Raelbewegung hat weltweit rund 25 000 Mitglieder und ist v.a. in Frankreich, Kanada und der Romandie präsent. Die Bewegung ist gut organisiert. Zu Beginn war die Bewegung eine typische idealistische Gemeinschaft weniger Getreuer, die sich um Rael scharten. Die ersten Jahre waren geprägt von Pioniergeist und Hippiementalität. Als sich die Gruppe vergrösserte und schwerfällig wurde, kam es da zu einer Änderung, und die Bewegung wurde hierarchisch. In der Raelbewegung gibt es eine Karriereleiter,wie sie für Unternehmen typisch ist. Ein weiterer Wendepunkt war die obligatorische Uniformierung - das Tragen der weissen Gewänder.Wie die Osho-Anhänger tragen auch die Raelianer das Symbol ihrer Bewegung auf der Brust. Früher war das Symbol eine Mischung zwischen einem Hakenkreuz (nicht das Kreuz der Nationalsozialisten) und einem Davidsstern. Heute ist der Davidsstern kombiniert mit einer Art Sternspirale.

Gibt es in der Rael-Bewegung Sanktionen, eine Disziplinierung von Abweichlern?

Ich glaube, das Ideal der Gruppe ist ein eher liberales und tolerantes. Natürlich wissen wir von derartigen Gruppen, dass sich solche Ideale mit der zunehmenden Grösse der Organisation nicht durchsetzen lassen. Die Raelianer versuchten jedoch, interne faschistoide Tendenzen zu bekämpfen.Wir wissen nichts Genaues von eigentlichen Rebellionen innerhalb der Bewegung oder Abspaltungen, aber sicher gab es Konflikte. Und was Strafmassnahmen betrifft, ist es bei den Raelianern vielleicht eher wie bei Sri Chinmoy: Die Mitglieder haben Angst, ausgeschlossen zu werden. Im Gegensatz zu christlichen Gruppen sind die Raelianer übrigens sinnenfreudig. Die Raelianer sind keine Kinder von Traurigkeit. Sexualität, Körperlichkeit, Massage werden aber auch eingesetzt, um die Mitglieder an die Gruppe zu binden.

Ist das mit ein Grund, warum sich der Raelbewegung auch viele junge Leute angeschlossen haben?

Ja, die gelebte Sexualität war sicher ein Magnet für Einsteiger in den 70er, 80er-Jahren. Heute ist dieser Magnet schwächer, die Leute sind relativ aufgeklärt, sie gestalten ihr sexuelles Leben selber. Im Zusammenhang mit der Sexualität gab es auch Vorwürfe der Pädophilie gegen die Raelianer. Es ist klar, dass eine solche Gruppe auch Pädophile anzieht. Möglich ist auch, dass Rael etwas Unvorsichtiges gesagt hat. Jedenfalls muss sich eine sexuell freizügige Gruppe mit solchen Übertretungen auseinandersetzen. Rael führt seit einiger Zeit eine Art Orden: «Les Anges de Raël» (Die Engel Raels). Dieser Orden besteht aus jungen und sehr jungen Frauen, die ausschliesslich mit Rael und den anderen Propheten aus dem Weltall schlafen dürfen. Rael besitzt somit einen eigenen Harem - das ist natürlich stossend und klar einer der Faktoren, der zeigt, dass Rael den Kontakt zur Realität verliert. Diese Sache mit der Sexualität nährt den Verdacht, dass die Raelbewegung im Grunde eine Designerreligion ist, die letztlich vor allem existiert, um Raels Wünsche zu erfüllen.

Eine Designerreligion hätte wohl kaum Erfolg, wenn sie nicht auch geistige Bedürfnisse aufnehmen würde.

Ja, sicher. Die Raelianer versuchen, den Konflikt zu lindern, dass wir einerseits in der Schule das naturwissenschaftliche Weltbild kennen lernen und andererseits doch in der christlich-biblisch-jüdischen Tradition stehen. Der Mythos, den Rael erzählt, behält das Mythische der biblischen Geschichten bei, aber geht den Kompromiss ein, dass die Geschichten technokratisch neu erzählt werden. Dazu kommt die starke soziale Beeinflussung in der Gruppe. Hier unterschätzt man die Raelbewegung. 1999 nahm ich an einer Veranstaltung der Raelianer für neue Interessenten teil. Wir mussten damals in einen Park ausweichen, weil das Volkshaus den Raelianern den Zutritt aufgrund eines kritischen Zeitungsartikels verweigert hatte. Zuerst gab es einen kurzen Vortrag von Thomas Känzig, der später Vizedirektor von Clonaid wurde. Er kündigte an, dass die Raelianer jeden Sonntag um 11.00h telepathischen Kontakt mit ihren ausserirdischen Schöpfern aufnähmen und forderte alle Anwesenden auf, an der Meditation teilzunehmen. Die Gruppe war klein: einige Raelianer, eine Kollegin und ich von der Projektgruppe UFO-Forschung und ein paar echte Interessenten. Ein Raelianer hyperventilierte, was aufzeigt, dass gezielt Techniken zur Veränderung des Bewusstseinszustandes angewendet wurden. Die Leute schlossen die Augen, und Thomas Känzig leitete eine echte Hypnose ein. Er führte die Teilnehmer durch eine Fantasiereise und was er sagte, klang etwa so: «Setzen wir uns bequem hin und atmen ganz entspannt. Stellen wir uns vor, unsere Seele sei eine Seifenblase. Sie wird leicht, steigt auf aus unserem Körper und schwebt über unserem Kopf. Wir können uns jetzt sitzen sehen, hier im sonnenbeschienenen Park. Dann steigt die Seifenblase auf, wir sehen den ganzen Park, die Stadt, die Schweiz, die Alpen, den Kontinent, die Erde.Wir sehen die Erde als blaue Perle im Weltall schweben und steigen immer weiter auf, weg von der Erde. Wir fliegen weiter, durch das dunkle All, durch diese Leere. Dann sehen wir einen leuchtenden Punkt, auf den wir zufliegen. Das ist der Planet der Ausserirdischen, die uns erschaffen haben, der sogenannten Elohim. Wir kommen immer näher, der Planet schimmert wie Perlmutt, wird immer grösser. Wir landen auf einer Wiese. Dort steht eine Gruppe Lebewesen. Es sind die Ausserirdischen, die uns bereits erwartet haben. Wir gehen auf sie zu und sprechen mit ihnen ohne Worte. Wir spüren die unermessliche Liebe und Wärme die sie für uns empfinden. Nach einer Weile müssen wir Abschied nehmen. Auch das geht ohne Worte. Es ist traurig, aber es muss sein. Wir steigen wieder auf, verlassen den Planeten, der zur kleinen Perle wird.Wir schweben zurück durchs All, die Erde wird wieder grösser, eine kleine blaue Kugel. Und jetzt» - fügte Thomas Känzig bei - «wollen wir noch all jener Menschen gedenken, die auf der Erde unter Krieg und Krankheit leiden. Dann landen wir wieder und vereinigen uns mit unserem Körper, der immer noch im Park sitzt.» Soweit dieser Trip. Das Ganze war an sich entspannend, enthielt aber brisante Details einer Indoktrination: Die Erde wurde negativ geschildert, der Planet der Ausserirdischen hingegen als ein absolutes Gefühlsparadies. Ich habe die Anwesenden gefragt, ob sie eigentlich wüssten, dass hier eine klassische Hypnose angewendet worden sei. Daraufhin entbrannte eine heftige Diskussion darüber, ob das stimme oder nicht. Känzig meinte, er habe den Inhalt nicht gelernt, aber die Technik. Ob er selber wusste, dass er Hypnose anwendete, bin ich mir nicht sicher.

Ich habe den Eindruck, die Raelbewegung ist ein für unsere Zeit typischer Mix aus verschiedenen Komponenten: ein bisschen Mythologie, ein bisschen Religion, Sciencefiction, UFOs, psychologische Methoden, neuzeitliche Gentechnologie. Dieser Mix ist sehr zeitgeistig, aber auch kurzlebig. Worin liegt die Aktualität einer solchen Mischung?

Was dieser Bewegung die Mitglieder zuführt, liegt in der Abspaltung der wissenschaftlichen Forschung und Lehre. In den Tageszeitungen erscheinen verständlich formulierte Meldungen über Gentechnologie, Astrophysik, Explosionen im Weltall, die Geburt neuer Sonnen. Aber die Leser können damit nicht viel anfangen, weil sich die Naturwissenschaften nicht darum kümmern, was ihre Ergebnisse für das Subjekt bedeuten. Das Subjekt ist aus diesem Weltbild systematisch eliminiert. Das ist Voraussetzung für empirisches Forschen. Eine Lehre, die den Leuten immer wieder aufs Neue erklärt, was diese naturwissenschaftlich beschriebene Welt mit ihnen vor hat, z.B. in Gestalt von Ausserirdischen, die keine «Götter» sind, die aber alle Eigenschaften von uns liebenden Schöpfern besitzen, ist ein grosser Bonus für die Menschen. Rael hat daher sehr geschickt immer wieder neue Meldungen aus den Naturwissenschaften aufgegriffen und in seine Religion integriert. Zumindest bis zu seinem Tod und sicher auch darüber hinaus wird diese Bewegung weiter bestehen, denn sie deckt verschiedene Bereiche ab: Sie ist genussfreudig, sie bietet unsicheren Menschen Halt durch ihre Strukturen, sie liefert ein Lebensziel, und sie verspricht Unsterblichkeit. Die Zellstruktur wird im galaktischen Computer der Ausserirdischen gespeichert, und daraus kann man immer wieder neue Lebewesen herstellen. Heute heisst es «DNS» und «Klonen», früher hiess es «transmettre le code cellulaire». Die Ausserirdischen sprechen immer gerade jenen Jargon, den wir verstehen.

Welchen Stellenwert hat die Esoterik bei der Raelbewegung?

Die klassische Esoterik fehlt. Es gibt keine überlieferten Geheimnisse, seien es hinduistische, buddhistische oder gnostische Weisheiten. Natürlich hat Raels Mythos etwas Gnostisches an sich: Wir Menschen sind in eine schlechte Welt geworfen, wir werden erst dann wieder heil, wenn uns die Ausserirdischen an ihren Busen drücken. Aber es gibt bei der Raelbewegung keine Schattenzone mit geheimen Symbolen - alles ist ausgeleuchtet. Das ist ein Spezifikum dieser Bewegung.

Ich möchte nochmals auf die Aktualität der Klonbabys zurückkommen. Der medienträchtige Effekt der Pressesprecherin, die die Geburt des angeblich ersten Klonbabys vorstellte, scheint inzwischen versandet. Wieso?

Ein letzter Höhepunkt war dieses Jahr 2003, als die Seifenblase platzte: Das Klonbaby wurde nicht geboren, aber eine Zeitungsente ist ausgeschlüpft. Was ist passiert? Von Pressesprechern der Raelbewegung wurde mitgeteilt, dass einige Klonbabys geboren worden seien. Deren Zellen seien im Sommer 2002 in Leihmütter implantiert worden, und in 12 bis 24 Monaten sollten funktionsfähige Menschen geboren werden. Mit Abtreibungen wurde gerechnet; Schwangerschaften sollten dort abgebrochen werden, wo der Fötus Missbildungen aufwies. Da kennen die Raelianer keine ethischen Bedenken. Es gab dann sogar ein Foto des Klonbabys Ève zu sehen. Dieser Name ist Programm; die Schöpfung beginnt neu. Schwierig wurde es, als die wissenschaftlich gebildeten Journalisten und Fachleute die Klonbabys endlich medizinisch auf ihre Echtheit hin überprüfen wollten. Die Raelianer verweigerten diese Prüfung und versteckten sich hinter dem Vorwand, dass Klonen in vielen Staaten verboten sei. Sie arbeiteten zuerst in den USA, wichen dann auf die Bahamas aus, als die USA ihr Labor schloss. Sie behaupten, sie hätten ein mobiles Laboratorium entwickeln müssen, weil ihr Vorgehen nicht im Einklang mit den Gesetzen stünde. Wegen der Strafbarkeit des Klonens, so die Argumentation, müsse man die Eltern und das Kind schützen. Deshalb seien keine Kontakte zu Journalisten und Fachleuten möglich. In einer nächsten Phase teilten die Pressesprecher der Bewegung mit, Rael habe Boissellier damals den Auftrag erteilt, die Firma Clonaid zu gründen, er selbst habe aber nichts mit der Firma zu tun. Früher hiess es dagegen, er habe die Firma selber gegründet. Auf die Frage, ob er Vertrauen in die Forschung Boisselliers habe, hatte Rael damals gesagt, er habe volles Vertrauen. «Wenn sie sagt, es gebe Klonbabys, dann gibt es Klonbabys.» Die letzte Stufe war dann eine interne e-Mail an die Bischöfe, in welcher stand, dass die ganze Geschichte in jedem Falle ein toller PR-Erfolg gewesen sei: Die Anmeldungen auf der Homepage von Rael hätten sich verdoppelt. Im Februar 2003 hat Rael Brigitte Boissellier einen neuen Auftrag erteilt, das Projekt SURROGAID (zusammengesetzt aus Surrogat und Aid). Dabei geht es um die Schaffung einer künstlichen Gebärmutter, das «Babytron». Damit ist Rael nicht länger auf Leihmütter angewiesen. Er versucht also weiterhin, die Öffentlichkeit zu schockieren, wobei sich diese Schockeffekte hauptsächlich gegen die katholische Kirche richten. Die katholische Kirche ist der erklärte Feind der Raelbewegung, weil sie sich gegen Klonen, Scheidung, ausserehelichen Geschlechtsverkehr etc. ausspricht. Die Klonbaby-Affaire spielt sich in einem Dreieck ab zwischen erstens der medizinischen Forschung, zweitens der Sekte mit ihrer Mythologie, Ideologie und PRSucht und drittens der Öffentlichkeit, vertreten durch die Medien, die versuchen, medienwirksame Elemente aufzuschnappen, sie entsprechend aufzubereiten und dem Publikum vorzusetzen. Diese drei Protagonisten müssten sich über ihre komplizenhaften Rollen klar sein. Die Forschung z.B.macht es sich leicht, stellt sich auf den Standpunkt der Neutralität; oder sie sagt, sie führe immerhin ethische Diskussionen über die Zulässigkeit des Klonens. Aber letztlich ist die Forschung machtlos, ihre eigenen Mitglieder zu zügeln, wenn diese reich werden wollen. Rael verlangt z.B. für einen Klon 200'000 Dollar und für eine Klonmaschine 9000 Dollar.

Neben der PR, die Gruppe ins Gespräch zu bringen, geht es also auch um Geldbeschaffung.

Ja. Eine Rede von Rael zu diesem Thema kostet 100 000 Dollar, eine Rede von Brigitte Boissellier 50 000 Dollar. Die Geldbeschaffung ist ein wichtiges Ziel der Gruppe, davon bin ich überzeugt, denn die Gruppe verfolgt immer Projekte, die letztendlich nicht realisierbar sind. Ein Beispiel dafür ist die Idee einer Botschaft auf extraterritorialem Gebiet für Ausserirdische. Das ist eine Schnapsidee. Ein Pressesprecher des Bundesrates meinte dazu, der Bund würde ohne weiteres mit Ausserirdischen direkt über die Möglichkeit einer Botschaft auf schweizerischem Gebiet verhandeln, aber nicht mit irgendwelchen Sektengurus. Rael stellt in Aussicht, dass wenn die Menschheit bereit sei, ohne jede Garantie mit ihm eine Botschaft zu bauen, die Ausserirdischen landen würden. Auf dem betreffenden Bankkonto häufen sich inzwischen die Millionen an. Ich denke, Rael lebt nicht schlecht von den Zinsen.

Man könnte sagen, diese Gruppe ist im besten Fall interessant, Zeitgeist, man kann darüber schmunzeln. Dennoch eine Frage, die sich immer stellt, wenn über Sekten gesprochen wird: Ist die Raelbewegung gefährlich? Muss man Rael im Auge behalten oder kann man diese Bewegung als Apostrophe zur Kenntnis nehmen und braucht sich nicht weiter mit ihr zu beschäftigen?

Es gibt verschiedene Gefahren. Zum einen geht die Beeinflussung der Mitglieder durch Rael ziemlich weit. Sie läuft eher versteckt, ist aber massiv. Die Mischung aus hypnotischer Meditation und sinnlichem Genuss ist - metaphorisch gemeint - eine potente Droge. Das bindet, macht vielleicht sogar abhängig. Wenn man bedenkt, dass sich 50 Leihmütter gemeldet haben - wie freiwillig das war, weiss ich nicht; sie sagten sicher «Ja, ich will Rael dienen» - und wenn man bedenkt, dass junge Frauen Rael sexuell zu Diensten stehen und darin ihre heiligste Aufgabe sehen, wird deutlich: in der Raelbewegung wird stark manipuliert. Ich finde, da sind Menschenrechte tangiert. Zum zweiten warf der Journalist Hugo Stamm die Frage auf, ob bei den Raelianern die Gefahr einer apokalyptischen Entwicklung bestünde. Rael verwendet selber das Wort Apokalypse, er vertreibt sogar eine gleichnamige Zeitschrift. Auf Fragen antwortet er aber, mit dem Begriff sei nicht der Weltuntergang gemeint, sondern eine Wendezeit, ein Aufbruch ins neue Zeitalter. Apokalypsis heisst ja ursprünglich Enthüllung und nicht Zerstörung der Erde. Nichts desto Trotz ist die Struktur der Bewegung labil, sie lebt stark von den wilden Fantasien Raels. Das kann eines Tages katastrophal zusammenbrechen. Hier liegen meine Befürchtungen.

Wir kennen Ereignisse wie die Massenselbsttötung der Gruppe Heaven's Gate. Siehst Du entfernt Ähnlichkeiten in der möglichen Entwicklung der Führerperson Rael?

Hier existiert ein gewichtiger Unterschied. Die Gruppe Heaven's Gate hat in ihrem gnostischen Diskurs den Körper als Container, als schmutziges Gefäss verdammt und forderte, dass die Seele davon befreit werde. Die Raelianer hingegen sind sehr körperfreundlich. Die Sinnenlust bindet sie an die Erde. Ich glaube auch nicht, dass sie ein aggressives, gegen die Öffentlichkeit gerichtetes Potenzial haben wie andere Gruppen, die sich bewaffnen und den Kampf antreten. Meine Befürchtung geht eher dahin, dass es zu einer Art psychischer Katastrophe kommen könnte, in der die einzelnen Mitglieder gefährdet sind. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass die Gruppe zum kollektiven Suizid aufruft, es sei denn, ich wüsste zu wenig über laufende Indoktrination in dieser Richtung.

Rael und seine Lehre ist einer der unzähligen Beweise dafür, dass der Mythos ungebrochen ist.

Der Mythos erzählt sich immer wieder neu. Übrigens arbeitete bereits die Sciencefiction das Thema Klonen mit ethischem Tiefgang durch, so beispielsweise in «To live forever» von Jack Vance und «The Ophiuchi Hotline» von John Varley. In beiden Romanen halten sich Angehörige der Elite einige Klone in einem Behälter.Wenn der Mensch stirbt, wird einer dieser Klone geweckt, und man pflanzt ihm das Gedächtnis des Originals ein. Jemand befreit dann die Klone. Plötzlich taumeln nackte, identitätslose Kopien von Menschen durch die Gegend. Eine Journalistin stellte fest, als sie Kunden der Klon-Angebote auf Raels Homepage befragte, dass diese eine seltsame Verwirrung an den Tag legten. Hier die Aussage eines unheilbar Kranken, der sich klonen lassen wollte: «Ich möchte ein zweites Mal geboren werden, mit einem jungfräulichen Gedächtnis und der Möglichkeit, nur die angenehmen Erlebnisse, die ich hatte, zu leben.» In diesem Zitat stecken viele Fehler. Nicht er wird wiedergeboren werden, sondern sein Klon, also ein Anderer. Die Zellen dieses Andern werden so alt sein wie die des Originals. Und bei der Geburt wird er keine Erinnerungen haben, weder gute noch schlechte und schon gar nicht diejenigen des Klonvaters bzw. der Klonmutter. Er wird ein Kind sein, das seine Erinnerungen selber aufbauen wird. Die Kunden begriffen zwar den technischen Vorgang des Klonens, hatten aber die Illusion, sie selbst würden wiedergeboren und dadurch unsterblich. Das Zitat zeugt auch von einer beinahe wahnhaften Auflösung der Ich-Grenzen.Vielleicht ist dieses Zitat ja auch eine Fiktion, die Rael diesem Mann in den Mund legte, pure PR. Mit dem Klonen kann man nicht unsterblich werden, wir sterben genauso wie bisher.

Appendix

abgedruckt im infoSekta-Tätigkeitsbericht 2002, S. 21-31

© Mai 2003 Verein infoSekta.

In einem früher publizierten Artikel geht Dieter Sträuli auf die Hintergründe des raelistischen Mythos ein: Sträuli, D. «UFOs, Klone, Sekten - ein kosmischer Familienroman,» unimagazin, Oktober 2001. Der Artikel kann als PDF-Datei ausgedruckt werden unter: http://www.unicom.unizh.ch/magazin/2001/3/pdf/magazin2001-3.pdf (Seite 46 bis 48 drucken).

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