"Durchbruch zur Freiheit" - Landmark Education (Schaaf TB 1991-93)

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von Susanne Schaaf


Einleitung

In den letzten Jahren wurde infoSekta zunehmend mit Anfragen und Fällen zu einer Organisation namens Landmark Education AG konfrontiert. Auch andere Sektenberatungsstellen im In- und Ausland mußten sich mit dieser Gruppe auseinandersetzen. Was steckt hinter dieser Organisation, die mit mehr als 500 Anfragen zu einem der aktuellsten Themen gehört, mit denen sich infoSekta beschäftigt?

Landmark Education beschreibt sich selber als internationales Bildungsunternehmen, welches weltweit Ausbildungs- und Trainingsprogramme für Erwachsene anbietet. Der Hauptsitz der Firma ist in San Francisco. Nach eigenen Angaben beschäftigt das Unternehmen zur Zeit ca. 300 Angestellte. Der Eintrag als Aktiengesellschaft ins Schweizerische Handelsregister (Landmark Education AG, Ämtlerstr. 17, 8003 Zürich) erfolgte erst im Oktober 1993, als einzel­zeichnungsberechtigte Verwaltungsrätin ist z.Zt. Anna Zollinger eingetragen. Chairman of the Board of Directors in San Francisco ist Art Schreiber.

 

 

In der Nachfolge von Werner Erhard

Landmark Education arbeitet mit Konzepten, welche sie von Werner Erhard (bzw. dessen Firma) übernommen hat, der in den 70er Jahren die umstrittenen EST-Kurse (Erhard Seminar Training) entwickelte. Erhard, der früher Jack Rosenberg hieß, hatte seinerzeit Kurse bei Scientology besucht und fühlt sich derzeit von Scientology verfolgt. Scientology wiederum behauptet, Erhard habe Teile ihrer Methode "abgekupfert", und versucht, mit Hilfe eines langen Fragekataloges all­fällige Kontakte der Scientology-Anhängerinnen und -anhänger zu EST zu ermitteln – dies, um sie gegebenen­falls mit einem sog. "EST Repair Rundown" zu behandeln. Inhalte aus der Scientology-Ideologie wie z.B. OT-Konzept oder das System der 8 Dynamiken wurden bei Landmark nicht festgestellt.

Erhard entwickelte ein Konzept der Selbstverwirklichung, welches heute in den Landmark-Kursen Anwendung findet. Die Kurse bestehen u.a. aus dem Landmark-Curriculum (Landmark-Forum, Seminar "Landmark-Forum in Aktion", Landmark-Fortgeschrittenen-Kurs, Landmark-Programm für Selbstausdruck und Führungsqualität) und den Kommunikations­kursen I und II und kosten insgesamt mehrere tausend Franken.

Nach eigenen Angaben ("Forum" Febr. 94) habe Landmark in "22 Jahren Aktivität" – obwohl die Firma Landmark Education als solche erst 1991 gegründet wurde – rund 1,5 Mio Personen zu mehr "Freiheit" verholfen.

"Landmark" heißt zu deutsch Markstein (Grenzstein) – und das sei auch das Ziel der Kurse, daß jeder Teilnehmer seinen Markstein findet, einen Durchbruch erlebt, der ihn befreit und sein Leben total verändert.

 

 

Keine Psychologie, sondern Erwachsenenbildung

Der Kursinhalt, der im Rahmen eines Kursbausteinsystems angeboten wird, sei keine Psychologie, sondern Ontologie – man beleuchte u.a. Gedanken von Heidegger, Husserl und Wittgenstein, schreibt Zollinger. Landmark wende auch keine Psycho-Techniken an, sondern führe "Untersuchungen". Als multinationales Bildungsunternehmen biete Landmark Ausbildungs­programme für Erwachsene an. Die Kursleitung hätte keine psychologische oder psycho­therapeutische Ausbildung, auch sei während der Kurse – so kündigt es der "vertrauliche Infor­mationsbogen" von Landmark an – "kein in dieser Richtung geschultes Personal anwesend". Die Verantwortung während des ganzen Kurses liege "allein beim Teilnehmer, und nur bei ihm", was denn auch durch Unterschreiben des entsprechenden Vertrages festgehalten wird.

Tatsächlich wird aber z.B. im Landmark-Forum ein zuweilen populär-psychologisches, stark vereinfachtes Konzept zwischenmenschlicher Beziehungen vertreten. In sogenannten "Unter­suchungen" (angeleiteten Gesprächen), welche die Forumsleiterinnen mit Einzelpersonen führen, kommen therapeutische Versatzstücke aus der humanistischen Psychologie und dem Konstruktivismus auf eine z.T. problematische Weise zur Anwendung, wie untenstehend noch ausgeführt wird. Bei fehlender Professionalität und aufgrund des Ansatzes selbst besteht grundsätzlich die Gefahr, daß die Forumsleiter "eigene blinde Flecken" nicht erkennen (können) und die Gruppe für ihre Selbstinszenierung als Landmark-Vertreter und für die Inszenierung des Landmark-Angebotes benutzen. Reflexionen über die Abhängigkeitsthematik finden nicht statt.

 

 

Sei Ursache!

Kurz umschrieben geht es im Landmark-Forum darum, daß der Mensch durch die Technik der "Untersuchung" in Bereiche des Unbewußten vorstößt – in Bereiche, wo er "nicht weiß, daß er nicht weiß" - und dort einen "Durchbruch" erlebt. Es gebe Fakten (= das tatsächlich Ge­schehene, z.B. eine Inzesterfahrung) und Interpretationen (= subjektive Einschätzung inkl. Generalisierung, z.B. mein Vater liebt mich nicht, ich bin nicht liebenswert). Der Mensch solle nun erkennen, daß er "Fakten" stets durch seinen persönlichen "Filter" wahrnehme und diese mit seinen eigenen "Interpretationen" unmerklich verwechsle ("immer bereits hören"). Gefühle gebe es nicht, nur Interpretationen. Das Auseinanderdividieren von "Fakten" und "Interpretationen" geschieht, indem der Kursteilnehmer mit der (direktiven) Hilfe der Forumsleiterin eigene be­lastende, immer wiederkehrende Verhaltensmuster (sog. "Nummern") erkennt, die "Kosten" und die "Beute", die mit den jeweiligen Nummern verbunden sind, analysiert und von den Nummern 'runterkommt. Der unwiderstehliche Drang des Menschen, vor anderen gut dastehen zu wollen, führt zur Entwicklung einer "Gewinnformel", die ihn vordergründig vor Verletzung schütze, letztendlich jedoch an einem befreiten Leben hindere. Durch die Übernahme des Landmark-Modells folglich gelinge es dem Teilnehmer, aus diesem "Teufelskreis" auszubrechen, er höre auf, sich immer nur als "Opfer" (der Eltern, des Ehepartners, der Chefin etc.) zu sehen, höre auf, als "kleines, arrogantes Mistvieh" seine Umgebung durch sein Opfersein zu tyrannisieren. Der Mensch soll Ursache sein, Durchbrüche selber verursachen. Unabhängigkeit von den Mit­menschen macht unverletzlich. Der "break through" führe zu einer neuen, nie geahnten Freiheit im Sein, zur Fähigkeit, kraftvoll und effektiv zu leben.

 

 

"Nach diesen drei Tagen wisst Ihr nicht mehr, wer Ihr seid"

Das Forum dauert drei Tage (Freitag bis Sonntag) à 12 bis 15 Stunden plus einen Abschluß­abend, an welchem dann Freunde und Kolleginnen mitgebracht werden können (und sollen). Die Teilnehmerzahl an einem Forum beträgt rund 150 Personen.

In den Marathonsitzungen wird versucht, die Teilnehmenden in bezug auf ihre Person und Identität grundlegend zu verunsichern, sie existentiell in Frage zu stellen: "Wir wollen Euch den Boden unter den Füßen wegziehen, Ihr sollt Euch keine Hintertürchen offen halten." und "Nach diesen drei Tagen wißt Ihr nicht mehr, wer Ihr seid". In diese Lücke der (produzierten oder künstlich verstärkten) Verunsicherung springt nun Landmark mit seinem Erklärungsmodell für zwischenmenschliche Konflikte. Das Umdefinieren bereits bekannter Begriffe (z.B. "drei Stifte sind zwei Dinge") und das Einführen neuer Bezeichnungen trägt einen nicht unwesentlichen Teil zu dieser Verunsicherung bei.

In der euphorischen Stimmung, welche auch mit der Überflutung durch Informationen und mit der ständigen Nähe zu den anderen, immer vertrauter werdenden Teilnehmerinnen zusammenhängt, bewirken denn auch die einfachen Standardinterpretationen eines Konfliktes bei vielen An­wesenden eigentliche Aha-Erlebnisse. Teilnehmer brechen in Tränen aus, andere sind gerührt ob dieser Offenherzigkeit und Emotionalität, andere lassen sich vom Mitgefühl der Großgruppe mitreißen etc.

Es kommt vor, daß die erzählende Person insbesondere anfangs in folgendes Dilemma gerät: Wer mit der "Interpretation", welche die Forumsleitung auf das dargelegte Problem vorbringt, nicht einverstanden ist oder sie nicht gleich versteht, sieht sich plötzlich vor der Alternative, entweder als dumm oder trotzig hingestellt zu werden oder sich aber anzupassen. Auflehnung gegen die Forumsleitung wird von dieser als "eine Frage fehlender Integrität" der Teilnehmerin dargestellt. Zweifel und Ungereimtheiten werden dem Individuum angelastet, das System ist grundsätzlich im Recht. Vor allem in den ersten Stunden des Forums wird die Rangordnung klar durchgegeben, allenfalls wird gewissen Personen nahegelegt zu gehen. Wer den ganzen Entscheidungsprozeß "Teilnahme ja oder nein" und das Anmeldungsprozedere hinter sich hat, möchte natürlich nicht schon innert der ersten Viertelstunde das Forum verlassen, auch wenn ihn bereits zu Beginn gewisse Dinge stören. Diese "Weichenstellung" fördert die Identifikation mit Landmark und trägt somit entscheidend zur Entstehung von Aha-Erlebnissen bei.

Wie autoritär der Kurs geführt wird, hängt stark von der Forumsleitung ab.

Die bewußt forcierte Emotionalisierung in der Gruppe dient als Hintergrund, vor dem die Bot­schaften (und die Notwendigkeit von Folgekursen) eingängig vermittelt werden können. Eine eigene Sicht des Problemes wird in den Kursen als "gefilterte Interpretation" abgewertet und durch die von der Forumsleitung vorgeschlagene (und akzeptierte) Sicht ersetzt. Diese "Standardsicht" von Landmark wird in den folgenden Kurstagen noch verstärkt – Raum für kritische Auseinandersetzungen bleibt kaum, zudem wäre mit Kritik u.U. ein Verlust des Wir-Gefühls verbunden. Der Austausch mit Nicht-Forums-Teilnehmern ist während des Workshops beschränkt, sodaß Angehörige und Außenstehende nach diesem Workshop argumentativ einen schweren Stand haben. Das neu verinnerlichte Standarddenken von Landmark zeigt sich denn auch in einem Teil der Schreiben, welche infoSekta von "zufriedenen" Kursbesuchern erhält.

Der oben beschriebene Ablauf "auftauen, verändern, einfrieren", wie er aus der einschlägigen Literatur zur Manipulation in vereinnahmenden Gruppierungen bekannt ist, findet bei Landmark durchaus statt und dient zum Eintrichtern oder Verankern der Methode.

 

 

Werbung im Freundeskreis

Während den emotionalen Kursen wird ständig Werbung für Folgekurse gemacht – einmal sollte während der Gruppensitzung ein Vertrag unterschrieben werden, von dem keine Kopie abgege­ben wurde. Die Teilnehmenden werden immer wieder ermuntert oder aufgefordert, Freunden und Bekannten von diesem Kurs zu erzählen und sie zu einem Einführungsabend mitzubringen. Es besteht auch die Möglichkeit, als von Landmark Begeisterter selber einen Informationsabend privat bei sich zuhause in der Art einer "Tupper-Ware-Party" zu organisieren. Das Gewinnen von neuen Teilnehmern sowie die Vorbereitung auf die Folgekurse ist integraler Bestandteil der Landmark-Kurse.

Da von Landmark keine eigentlichen Kursunterlagen abgegeben werden, sondern lediglich Werbematerial, und auch der durchlaufene Prozeß eher schwierig in Worte zu fassen und mit­zuteilen ist (zumal ein Mitschreib-Verbot aufgestellt wurde), bleibt nur ein mystisches "Das-muß-man-selber-erlebt-haben".

Die Forumsleitung selbst erhält Unterstützung von etlichen Helfern, die während der Kurse ehrenamtlich mitarbeiten.

 

Veränderung der Persönlichkeit

An infoSekta wenden sich nun einerseits Personen, welche von einem Bekannten, einer Freun­din an einen Einführungsabend eingeladen werden und hinter die Seriosität des Angebotes ein Fragezeichen setzen. Der Eindruck, den eine Person von Landmark erhält, führt offensichtlich in gewissen Fällen dazu, daß die Person mit einer Sektenberatungsstelle Kontakt aufnimmt. Andererseits wenden sich Ratsuchende an uns, weil sie ihren Partner, ihre Freundin, ihren Arbeitskollegen, ihre Schwester nach dem Forum nicht mehr wiedererkennen. Von Persönlich­keitsveränderung, von aufgesetztem Selbstwertgefühl, von der Unmöglichkeit, miteinander zu kommunizieren, an den andern heranzukommen, ist die Rede. Die durch Landmark zur angeb-lichen Freiheit geführten Kursteilnehmer werden oft von ihrer Umgebung eher als egoistisch, maskenhaft und unansprechbar beschrieben.

Da infoSekta ja nur mit den problematischen und kaum mit den zufriedenen Fällen konfrontiert wird, können wir keine generelle Aussage machen. An dieser Stelle muß daher auch betont werden, daß es durchaus auch Kursteilnehmer geben kann, welche von ihren Erfahrungen pro­fitieren und sich in ihrem Alltagleben gewisse Freiräume schaffen, gewisse Änderungen ein­bringen können, Personen, welche tatsächlich mehr Verantwortung in ihrem Leben übernehmen können.

Allerdings stellen wir eben auch fest, welches Muster sich bei den zumindest uns vorliegen­den Fällen abzeichnet, nämlich, daß bei Partnerschaften, von denen der eine Teil die Kurse regel­mäßig besucht, die auftretenden Spannungen die Beziehung stark belasten oder aber der Nicht-Landmark-Partner früher oder später ebenfalls an den Kursen teilnimmt. Eher seltener wenden sich ehemalige "Landmärkler" an uns, welche von emotionaler Ausbeutung berichten. Es scheint, als erzeuge Landmark (vorläufig) v.a. für das Umfeld der Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer z.T. massive Schwierigkeiten.

 

Die Ziele von Landmark sind hochgesteckt:

"Wir laden Sie ein, an dieser Welt von Möglichkeiten teilzunehmen und an ihr mitzuwirken – eine Möglichkeit jenseits dessen, was vorhersagbar ist, jenseits dessen, was die Umstände zu­lassen würden, einer Möglichkeit, größer als wir selbst.

Wir laden Sie ein, an einer kraftvollen Methode des Handelns teilzunehmen, einer Methode, die über das Individuelle hinausgeht, einer Methode, die an sich transformierend ist. Sie werden im Hervorbringen neuer Möglichkeiten, die bis jetzt nicht sichtbar gewesen sind, mit anderen zu­sammenarbeiten." (Auszug aus 'Landmark Education 1997'; vgl. V. Gruppeneigenes Beleg­material, S. 32)

Auch in bezug auf die Schweiz hat die Landmark Education AG noch Großes vor. So formulierte die Forumsleiterin Grace anläßlich eines Forums im Februar 94:

"Wenn Landmark hier fünfmal mehr Foren anbieten würde, wäre die Schweiz das erste transformierte Land!"

 

 

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